Interview mit Heidemarie Brosche und Eylem Emir.
Ein „Ach so“ stand am Beginn der Zusammenarbeit zwischen der ehemaligen Lehrerin und Buchautorin Heidemarie Brosche und der interkulturellen Trainerin und Erzieherin Eylem Emir. Es sollten noch sehr viele dieser Momente folgen, bis die beiden beschlossen, ihre Erkenntnisse über interkulturelle Elternarbeit in der titelgebenden Podcast-Serie zu veröffentlichen. Wir haben die beiden zum Interview getroffen. Lesen Sie mehr darüber, wo gute Kommunikation zwischen Schule und Eltern ihren Anfang nimmt und warum ein „Ach so!“ viel dabei helfen kann.
„Wenn man das Wissen hat, geht vieles automatisch leichter, so Heidemarie Brosche einleitend, das heißt nicht, dass ich mich permanent anpasse“. In der interkulturellen Elternarbeit gehe es um Wissen und Verständnis, „Und durch das Verständnis ändert sich die eigene Haltung. Das war auch der Grund für unseren Podcast.“
Im Rahmen unseres Gesprächs nennen die beiden drei Erkenntnisse, die den Weg für eine gelungene interkulturelle Elternarbeit ebnen:
Bildung anders denken
Der Perspektivenwechsel ist einer der zentralen Ansätze von Heidemarie Brosche, er ist für sie „die Grundlage für alles Positive insgesamt unter Menschen, ganz besonders aber in der Schule.“ In Bezug auf die interkulturelle Elternarbeit ist es deshalb wichtig, sich bewusst zu werden, dass Menschen unterschiedliche Bildungshintergründe haben und deshalb fälschlicherweise als „bildungsfern“ bezeichnet werden. Deshalb bevorzugen Heidemarie Brosche und Eylem Emir die Bezeichnung „bildungsanders“. Denn all diese Menschen verfügen über Bildung, aber eben über eine andere, die nicht dem (europäischen) Kanon entsprechen muss:
„Man neigt dazu, dass man sich ein bisschen oben fühlt und die anderen, die man als bildungsfern tituliert, unten sieht. Das ist eine sehr ungesunde Herangehensweise. Auch von dem, was man in der Schule erreichen will, ist es vollkommen kontraproduktiv.“
Denn der Aufbau einer guten Beziehung steht für beide Expertinnen im Zentrum der interkulturellen Elternarbeit: „Mit einer guten Beziehung kriegst du die Leute zu sehr viel.“, so Heidemarie Brosche. Dabei ist es aber oft notwendig, Verschiedenheit auch unvoreingenommen zulassen zu können, so Eylem Emir: „Ambiguitätstoleranz ist ja nichts anderes als zwei verschiedene Dinge Meinungen stehen lassen zu können, ohne Frust und Aggression zu erleben. Es ist so wie es ist.“
Das ist nicht immer leicht. Ganz im Sinne unserer Interviewpartnerinnen werfen wir daher noch einen genaueren Blick darauf, woher die Differenzen kommen und wann sie zu Reibungen führen.
Wer steht im Zentrum des Bildungssystems?
Ein wichtiger Wissensbaustein ist die Rolle der Eltern im Bildungssystem. Denn nicht überall wird ein familienzentriertes Modell, in dem (idealerweise) eine Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und Lehrenden herrscht, gelebt:
„(Es) sind Menschen zugewandert, denen dieses System komplett fremd ist. Da geht jede Initiative vom Lehrer aus. Hat das Kind schlechte Leistungen, ist die Lehrerin nicht gut genug. (…) Viele Migrantenfamilien haben weiterhin dieses Bildungssystem im Kopf, die Schule aber nicht.“
Im familienersetzenden Bildungssystem, wie es Eylem Emir beschreibt, mischen sich Eltern kaum in die Arbeit der Schule ein. Bei Lehrkräften entsteht dadurch oft der Eindruck, dass sie sich nicht für die Bildung ihrer Kinder interessieren. Vor allem beim Thema Leseförderung sei ihr das oft schmerzlich aufgefallen, hakt Heidemarie Brosche ein: Wenn sie dann in die Schule kommen,wird selbstverständlich erwartet, dass die Eltern feste mit den Kindern üben. Und da ist mir erst durch Eylem bewusst geworden, was da aufeinander prallt. Wenn die Eltern meinen, es ist Sache der Schule, damit habe ich nichts zu tun. Und wenn die Lehrkräfte aber meinen, die Eltern müssen aber mal, die tun ja nicht.“ Der empörte Aufschrei vieler Eltern „Bin ich etwa die Lehrerin?“ rührt genau aus diesen unterschiedlichen Systemen.
Direkt ist nicht immer schneller
Aber die Haltung und das Rollenverständnis sind nur ein Teil der Kommunikationsbarrieren. Hinzu kommen kulturell bedingte Kommunikationsstile. Der indirekte Kommunikationsstil ist mit einem kollektivistisch geprägten Gesellschaftsmodell verwurzelt. Es geht darum, viele Eventualitäten im Vorhinein abzuklären, um einen „Gesichtsverlust“ beim Gegenüber zu vermeiden. Im direkten Kommunikationsstil würde dieses „um den heißen Brei reden“ als beunruhigend und zu persönlich empfunden werden. Eylem Emir beschreibt die Annäherung an ein Thema wie eine Spirale im Vergleich zur geradlinigen direkten Variante, die wir aus unserem individualistisch geprägten Gesellschaftssystem kennen.
Für erfolgreiche interkulturelle Elternarbeit ist es wichtig, diesen Faktor zu bedenken: „Wenn man beispielsweise ein Elterngespräch hat, ist es in Deutschland üblich, dass man ziemlich sachlich bleibt und nach Lösungen suchen möchte. Und das ist für diese Familien viel zu schnell, viel zu sachlich.“
Zeit ist in mehrerlei Hinsicht ein Thema, hakt hier Heidemarie Brosche ein: „Das müssen gerade so eilige Leute wie ich, aber im Prinzip alle wissen: Sie brauchen schon deshalb auch mehr Zeit, weil sie ja in der Regel nicht in ihrer Muttersprache mit uns kommunizieren. Das heißt, es ist deutlich mehr Anstrengung. Und es ist nicht unbedingt Alltagssprache, das ist Bildungssprache.“
Die Übersetzungsfunktion von SchoolFox versucht deshalb „Starthilfe“ für erfolgreiche Elternkommunikation zu geben. Denn, so Eylem Emir: „Die Sprache ist das Hauptproblem. Wenn dieses Problem aufgehoben wird, hat man schon vieles geschafft. Sobald man dann in Kommunikation kommen kann, entsteht eine Beziehung und darauf kann man bauen und die Ziele erreichen.“
Wie wir Elternarbeit zum Blühen bringen
Zum Abschluss erzählt Eylem Emir über ein Elternpaar aus Nigeria. Deren Kind trägt ein Hörgerät, zur Unterstützung wäre es jedoch gut, dass die Lehrkraft ebenfalls ein Gerät am Hals trägt, damit das Kind dem Unterricht besser folgen kann. Die Eltern haben Bedenken, dass das Kind deshalb diskriminiert wird und sind dagegen. Nach zahlreichen erfolglosen Aufklärungsgesprächen wird sie gebeten zu übernehmen:
Eylem Emir: „Wir haben 40 Minuten gesprochen. Davon haben wir 30 Minuten überhaupt nicht über das Thema gesprochen. Ich habe eine halbe Stunde lang dem Vater zugehört, ihm ehrliche Wertschätzung entgegengebracht und er hat sich angenommen gefühlt. Es entstand Vertrauen und erst dann habe ich mich langsam an das Thema angenähert und ihm die Sache erklärt. Wir haben in nicht mal 10 Minuten alles aufgezählt, was das Problem ist. Und ich glaube, ihr könnt euch denken, was die Antwort war: „Aber selbstverständlich machen wir das.“ Er hat sich sogar bei der Lehrerin bedankt, weil sie sich so gut um sein Kind kümmert. Die deutsche Seite (Anm. die Schule) hat hier eigentlich schon viel Zeit investiert. Aber immer, immer direkt. Und wenn wir diese Zeit zusammenzählen, waren sie definitiv mehr als 40 Minuten.“
Ihre Erzählung zeigt, wie viel Zeit und Nerven so manches „Ach so!“ spart und wie wichtig das Wissen über unterschiedliche Rollenverständnisse und Kommunikationsstile für einen gelungenen Austausch zwischen Eltern und Schule sein kann. Denn die Elternarbeit ist der Beginn guter Integration durch Bildung, so Eylem Emir: „Wir müssen die Wurzeln [die Eltern] erreichen, gießen und düngen, damit die Blumen, also die Kinder, wachsen und gedeihen können.“